Der Deutsche Schwimmverband (DSV) hat auf seiner Homepage ein Interview mit dem Chefbundestrainer Schwimmen, Henning Lambertz, veröffentlicht.
Hier das komplette Interview – Quelle: DSV:
“Herr Lambertz, wie fällt ihre WM-Bilanz aus?
H. Lambertz: Trotz vieler Ergebnisse, die nicht ganz optimal waren, macht vieles Mut für die Zukunft. Wir hatten junge Schwimmerinnen und Schwimmer dabei wie zum Beispiel Florian Wellbrock, Celine Rieder oder Aliena Schmidtke, die sich hier ganz fantastisch präsentiert, sich durchgesetzt und uns gezeigt haben, dass sie zu den Top-Zwölf oder sogar besser in der Welt gehören. Das ist erstmal sehr positiv zu bewerten. Einige von den Etablierten hatten ein paar Probleme hier, teilweise auch aus logischen Gründen wie zum Beispiel aufgrund von Umstellungen nach den Olympischen Spielen. Da gibt es immer einen Aufbruch, und man muss überlegen, was macht man jetzt für die nächsten vier Jahre anders, damit man den Rückstand, den man hat, wieder aufholen kann. So gesehen, alles erst einmal in Ordnung. Und ganz besonders hell strahlt natürlich Franziska Hentke mit ihrer Silbermedaille.
Wurden ihre Erwartungen erfüllt oder nicht?
H. Lambertz: Im Grunde schon, ja. Natürlich wünscht man sich an der ein oder anderen Stelle immer noch ein Tickchen mehr von dem ein oder anderen. Wir haben noch einige Hausaufgaben zu erledigen, unter anderem in der Wiederholbarkeit unserer Leistungen. Keiner hat nach den Deutschen Meisterschaften unbedingt erwartet, dass man hier bei der WM noch einmal ein Riesending draufsetzt, aber das Wiederholen unserer Leistungen von den Deutschen Meisterschaften sollte hier an der Stelle doch möglich sein. Und das gelingt noch nicht genügend Leuten. Da müssen wir einfach weiterhin dran arbeiten. Hier gibt es auch immer noch die „berühmte“ Quote von früher, die feststellt, wie viel Prozent der Athleten ihre Top-Leistungen von den Deutschen Meisterschaften beim Saisonhöhepunkt noch steigern können. Und die lag diesmal ungefähr bei 40 Prozent.
Jetzt sind es noch drei Jahre bis Tokio. Mit den Eindrücken aus Budapest, die Sie hier gewonnen haben: Ist der deutsche Schwimmsport noch einmal weiter weg gerückt von der Weltspitze oder näher ran?
H. Lambertz: Näher ran gerückt sind wir noch nicht. Der Abstand ist gleichgeblieben. Aber diese Situation ist auch einfach nur logisch, wenn man bedenkt, auf welchen Baustellen wir gerade arbeiten. Und das Aufarbeiten dieser Baustellen ist natürlich nicht innerhalb einiger Monate möglich. Das wird noch ein wenig dauern. Nach wie vor sind wir aber zu 100 Prozent davon überzeugt, die richtigen Wege zu gehen. Da hat auch der enorme Zuspruch aus internationalen Trainerkreisen, den wir hier erhalten haben, gutgetan. Der sagt uns: „Das ist richtig so, geht den Weg weiter. Verlasst in bloß nicht!“ Dementsprechend sind wir da nach wie vor sehr guter Dinge, dass das nur Zeit braucht und das ist einfach nur ganz normal.
Sie sagen, der Rückstand zur Weltspitze sei nicht größer geworden. Wenn man aber z.B. die Lagenstaffel von heute ansieht, ist der Rückstand doch größer geworden, oder?
H. Lambertz: Die Lagenstaffel der Männer von heute Morgen hat sich ganz normal über Staffelnormen bei der DM für Budapest qualifizieren können. Die Normzeit der DM lag knapp unter der Zeit, die heute für den Finaleinzug nötig gewesen wäre. Das zeigt mir nur, dass es richtig war, solche Normzeiten aufzurufen. Es zeigt mir auch, dass die vier Jungs bei den Deutschen Meisterschaften in Addition der Zeiten die Finalqualifikation draufhatten. Letztendlich sind wir daran gescheitert, dass sie die Leistung von Berlin hier nicht noch einmal abrufen konnten. Und dann sind wir wieder genau bei dem Thema, das ich bereits angesprochen habe. Das ist also nicht ein „Weiterwegrutschen von der Weltspitze“, sondern es ist ein individuelles Problem, das wir unsere Leistungen, die wir vor fünf Wochen schon gebracht haben, hier nicht noch einmal abrufen können.
Wird es wieder Staffelprojekte wie vor Rio geben? Weil das scheint ja sehr gut angekommen zu sein und funktioniert zu haben.
H. Lambertz: Ja, die wird es geben. Natürlich nicht für alle Staffeln. Für die Lagenstaffeln macht es wenig Sinn. Aber für alle Freistilstaffeln wird es Projekte geben, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern. Denn wir wollen natürlich, dass wir in Zukunft wieder alle Finals mit Staffeln bestücken können. Bei den Frauen hat die 4x200m Freistilstaffel sicherlich die besten Chancen. Bei der 4x100m Freistilstaffel müssen wir dagegen noch nachlegen. Da ist das Potenzial tatsächlich noch nicht ausreichend.
Insgesamt gab es bei dieser WM fünf Finals mit deutscher Beteiligung. Davon ist die Staffel nur dank einer Disqualifikation reingerutscht. Schmidtkes 50m-Distanz ist nicht olympisch. Das sind doch sicherlich nicht Zahlen, die Sie zufrieden stellen, oder?
H. Lambertz: Nein, zufrieden bin ich nicht. Aber ich gehe da auch nicht so ran, dass ich jetzt wieder nur die schlechten Dinge sehe. Es gab auch bei dieser WM viele Lichtblicke, einige habe ich bereits angesprochen, aber dazu zähle ich zum Beispiel auch einen Poul Zellmann, der einen nicht optimalen Start in die WM hingelegt hat, der sich aber anschließend wieder zurück gekämpft hat und in der Staffel seine Topleistung abgerufen hat. Oder ein Damian Wierling, auch noch jung, der ist mit einer 49,0 in die WM gestartet und hat heute mit einer 48,0 die WM beendet. Das sind positive Dinge, die Hoffnung machen.
Nach allem was in der letzten Zeit passiert ist, haben Sie vor für die Zukunft etwas an ihrem Umgangston zu ändern?
H. Lambertz: Diese Frage könnte man auch einfach mal unserem Team stellen, das hier ist und das mir jeden Tag bestätigt, dass es hier ein sehr harmonisches und kommunikatives und freundliches Miteinander gibt. Dementsprechend sehe ich da eine sehr gute Kommunikation, sehr viel Transparenz. Ich habe auch diejenigen, die mir im Moment vielleicht eher ein wenig kritisch gegenüberstehen zur Auswertetagung eingeladen. Da kann man sich fachlich mit uns, mit mir austauschen. Ich bin gespannt, wie viele dieses Angebot annehmen. Die Auswertetagung findet vom 16. bis 19. September in Hamburg statt.”